Die Automobilindustrie ist zunehmend auf fortschrittliche Softwaresysteme angewiesen, um die Sicherheit und Funktionalität von Fahrzeugen zu gewährleisten. Doch wie können höchste Sicherheits- und Qualitätsstandards eingehalten und gleichzeitig die Anforderungen der Branche erfüllt werden? Die Kombination der beiden wichtigsten Industriestandards, Automotive SPICE (ASPICE) und ISO 26262, bildet eine gute Grundlage für die Steigerung der Effizienz des Entwicklungsprozesses bei geleichzeitiger Gewährleistung der funktionalen Sicherheit des Endprodukts.

Synergien in der sicherheitskritischen Softwareentwicklung erzielen: Integration von ASPICE und ISO 26262
Um der wachsenden Nachfrage nach zuverlässigen und sicheren Automobilen gerecht zu werden, haben sich zwei entscheidende Standards etabliert: ASPICE und ISO 26262. Während ASPICE die Prozesse der Softwareentwicklung bewertet und optimiert, konzentriert sich ISO 26262 auf die funktionale Sicherheit sicherheitskritischer Systeme. Dieser Artikel untersucht die komplementäre Natur dieser Ansätze und zeigt auf, wie sie gemeinsam einen Rahmen schaffen, um die Sicherheit und Qualität von Automobilprodukten zu verbessern.
Die komplementäre Natur verstehen
ASPICE und ISO 26262 sind keine konkurrierenden Standards, sondern erfüllen unterschiedliche, jedoch eng miteinander verknüpfte Aufgaben in der Automobilindustrie.
Der Schwerpunkt von ASPICE liegt auf der Bewertung und Verbesserung von Softwareentwicklungsprozessen bei Automobilzulieferern. Ziel ist es, die Prozessreife und -fähigkeit zu steigern, sodass Unternehmen Verbesserungspotenziale erkennen und die Einhaltung von Branchenstandards sicherstellen können.
Im Gegensatz dazu konzentriert sich ISO 26262 auf die funktionale Sicherheit. Der Standard bietet umfassende Richtlinien und Anforderungen für die Entwicklung sicherheitskritischer elektrischer und elektronischer Systeme in Fahrzeugen. Er erstreckt sich über sämtliche Entwicklungsphasen – von der Konzeptentwicklung über Design, Implementierung und Integration bis hin zur Validierung sicherheitsrelevanter Systeme.
Überschneidungen von ASPICE und ISO 26262
Die Integration von ASPICE und ISO 26262 erzeugt ein leistungsstarkes Framework, das den gesamten Entwicklungsprozess optimiert und gleichzeitig die Sicherheit und eine hohe Qualität sicherheitskritischer Software in der Automobilindustrie gewährleistet. Einige zentrale Bereiche, in denen sich beide Standards vorteilhaft überschneiden, sind:
- Prozessreife und Sicherheitsgewährleistung: Die Einhaltung von ASPICE Level 3 belegt einen ausgereiften und klar definierten Softwareentwicklungsprozess. Durch die Verknüpfung dieses hohen Reifegrads mit ISO 26262 schaffen Unternehmen eine solide Grundlage für die Sicherheitsgewährleistung und eine systematische Entwicklung. Das ist essenziell, um sicherzustellen, dass Sicherheitsaktivitäten diszipliniiert und streng durchgeführt werden, um das Risiko von Fehlern und Gefahren zu reduzieren.
- Angleichung von Prozessen: ASPICE-konforme Prozesse können mit den spezifischen sicherheitsrelevanten Aktivitäten und Arbeitsergebnissen, die von ISO 26262 gefordert werden, abgestimmt und verknüpft werden. Diese Integration ermöglicht es Unternehmen, einen effizienten und kontrollierten Entwicklungsablauf zu etablieren, der sowohl die Prozessreife als auch die Sicherheitsziele berücksichtigt. Die Angleichung stellt sicher, dass die prozessualen Anforderungen beider Standards während des gesamten Entwicklungszyklus effizient umgesetzt werden.
- Risikomanagement und Sicherheit: Sowohl ASPICE als auch ISO 26262 setzen einen starken Fokus auf das Risikomanagement, behandeln jedoch unterschiedliche Arten von Risiken. ASPICE konzentriert sich auf Projekt- und Prozessrisiken, während ISO 26262 funktionale Sicherheitsrisiken adressiert, die durch Fehlfunktionen von E/E-Systemen verursacht werden können. Durch die Kombination dieser Risikomanagementansätze können Unternehmen Risiken sowohl auf Prozess- als auch auf Produktebene wirksam erkennen und mindern, was zu einem sichereren Endprodukt führt.
- Verifikation und Validierung: Die Anforderungen von ASPICE an Verifikations- und Validierungsprozesse sowie deren „Base Practices“ (grundlegende Praktiken) werden durch die spezifischen methodischen Vorgaben von ISO 26262 für Sicherheitsvalidierungsaktivitäten ergänzt. Durch die Integration dieser Praktiken wird die Bedeutung gründlicher Tests, Überprüfungen und Bewertungen während des gesamten Softwareentwicklungsprozesses unterstrichen, um sicherzustellen, dass die Anforderungen an die funktionale Sicherheit erfüllt werden. Insbesondere statische und dynamische Tests sind in beiden Normen integrale Bestandteile der Verifikationsaktivitäten.
- Gemeinsame Sprache und einheitliches Verständnis: Die Anwendung von ASPICE und ISO 26262 schafft ein gemeinsames Verständnis für Entwicklungsprozesse und Sicherheitsanforderungen bei allen Beteiligten. Diese gemeinsame Sprache überwindet Barrieren zwischen Softwareentwickler:innen und Expert:innen für funktionale Sicherheit, erleichtert die Zusammenarbeit und verbessert die Kommunikation. Dadurch wird die gesamte Projekteffizienz nachhaltig gesteigert.
- Branchenweite Anerkennung: Viele Automobilhersteller und -zulieferer erwarten von ihren Entwicklungspartnern die Einhaltung sowohl von ASPICE als auch von ISO 26262. Durch die Anwendung beider Standards können Zulieferer ihr Engagement für Qualität und Sicherheit unter Beweis stellen, ihre Reputation und Wettbewerbsfähigkeit stärken und gleichzeitig verschiedene Kundenanforderungen abdecken.
Bewältigung von Lücken und Herausforderungen
Die Integration von ASPICE und ISO 26262 in ein typisches Softwareentwicklungsprojekt kann aufgrund ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte und Ziele Herausforderungen mit sich bringen. Unternehmen sollten daher die folgenden Schritte in Betracht ziehen:
- Eine umfassende Strategie entwickeln: Unternehmen sollten eine klar definierte Strategie erarbeiten, die auf die spezifischen Anforderungen und Besonderheiten des Softwareentwicklungsprojekts abgestimmt ist. Eine strukturierte Roadmap ist essenziell, um eine reibungslose und effektive Integration beider Standards zu gewährleisten.
- Personal schulen und weiterbilden: Für eine erfolgreiche Integration sollten alle Beteiligten in beiden Standards, ASPICE und ISO 26262, geschult und weitergebildet werden. Dies fördert ein gemeinsames Verständnis und eine einheitliche Sprache zwischen den Entwicklungsteams und Sicherheitsfachleuten und erleichtert so eine effektive Zusammenarbeit.
- Geeignete Tools und Methoden einsetzen: Unterstützende Tools und Methoden helfen dabei, Dokumentation, Abstimmung und Integration effizient zu steuern. Der gezielte Einsatz passender Ressourcen erleichtert den Integrationsprozess und stellt die korrekte Einhaltung beider Standards sicher.
- Regelmäßige Assessments und Audits durchführen: Kontinuierliche Assessments und Audits helfen, Verbesserungspotenziale zu erkennen und sicherzustellen, dass die Anforderungen sowohl von ASPICE als auch von ISO 26262 erfüllt werden. Ein ASPICE-Assessment reicht jedoch nicht aus, um die Bewertung der funktionalen Sicherheit gemäß ISO 26262 durchzuführen.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Integration von ASPICE und ISO 26262 einen bedeutenden Vorteil für die Automobilindustrie darstellt. Obwohl beide Standards unterschiedliche Schwerpunkte setzen, verfolgen sie ein gemeinsames Ziel: die Sicherstellung von Qualität und Sicherheit in der automobilen Softwareentwicklung – sowohl auf Prozessebene als auch im Endprodukt.
Die Kombination beider Standards verdoppelt nicht den erforderlichen Aufwand, da die ISO-26262-konforme Softwareentwicklung maßgeblich auf der Prozessfähigkeit und -leistung aufbaut, die durch ASPICE gefordert wird. Umgekehrt bietet ASPICE einen geeigneten Prozessrahmen zur Integration sicherheitsrelevanter Aktivitäten gemäß ISO 26262.
Durch die Nutzung der Synergien beider Standards und die gezielte Berücksichtigung ihrer Unterschiede können Unternehmen ihre Softwareentwicklungsprozesse und Maßnahmen zur funktionalen Sicherheit optimieren. Dies ist besonders relevant für die Entwicklung hochkomplexer Automobilsoftware in verteilten Entwicklungsumgebungen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Englisch auf LinkedIn publiziert.